Johannes Greber – 9.1 Die menschliche Geburt, die Kindheit und die Geschwister Jesu(2)

 Text Quelle : vom Medium Peter Bernath persönlich zum Mitveröffentlichung autorisiert.

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Vierter Teil : 9.1 (2)

Aber schon in den ersten Jahren der Vernunft hatten sich große mediale Gaben bei diesem Knaben zu entwickeln begonnen. Es waren die Gaben des Hellsehens und Hellhörens, die, mit kleinen Anfängen beginnend, nach und nach zur höchsten Vollkommenheit sich steigerten. Sie befähigten ihn, mit der Geisterwelt in Verbindung zu treten, die Geister hellsehend zu schauen und ihre Worte hellhörend zu vernehmen. Es war nichts Neues, was dem heranwachsenden Jüngling mit dieser Gabe verliehen wurde. Viele Menschen vor ihm besaßen sie. Nur wurde sie bei diesem Gott Gesandten zum höchsten Grade entwickelt, der bei Menschen überhaupt möglich ist.

Durch seine Verbindung mit der Geisterwelt Gottes wurde er während seines Erdenlebens über alles unterrichtet, was zur Erfüllung seiner Aufgabe für ihn zu wissen notwendig war. Denn als Mensch wußte er von alledem ebensowenig wie andere Menschen.

Eine Rückerinnerung an sein früheres Dasein als höchster Geist Gottes besaß er nicht, weil jede Verkörperung eines Geistes in einem materiellen Leibe die Rückerinnerung auslöscht.

Was also Christus während seines menschlichen Lebens lehrte, hatte er aus diesem Geisterverkehr empfangen, wie auch Mose alles, was er dem Volke mitteilte, vorher im Offenbarungszelte durch Befragen Gottes erfahren hatte.

So wuchs der Knabe zum Jüngling und Manne heran. Mit zunehmendem Alter nahmen auch seine Erkenntnisse zu, nicht bloß die Erkenntnisse, wie sie jeder Mensch mit zunehmendem Alter gewinnt, sondern auch vor allem die Erkenntnisse, die ihm durch die Geister Gottes vermittelt wurden. In demselben Maße ging auch sein Wachstum im Guten voran, was eure Bibel in den Worten ausdrückt:

Lukas 2, 52: ‚Er nahm zu an Alter und Weisheit und Wohlgefallen vor Gott und den Menschen.‘

Es war ein wirkliches Zunehmen und nicht bloß ein äußeres ‚an den Tag legen‘, wie deine bisherige Religion behauptet.

Christus war als Mensch nicht von vornherein vollkommen, da kein Geist im Menschenkörper vollkommen sein kann. Denn die Materie ist in sich etwas Unvollkommenes und Niedriges. Auch der Geist, der rein und vollkommen in die materielle Hülle kommt, muß sich als Mensch nach und nach in beständigem Kampfe gegen das ihn niederziehende Böse zur Vollkommenheit durchringen. Mit jedem Menschenleib sind menschliche Schwächen und Unvollkommenheiten des darin verkörperten Geistes verbunden, mit denen auch der vollkommenste Geist zu ringen hat und von denen er sich, so lange er Mensch ist, nie ganz befreien kann. Es gehört dies eben zur Natur des Menschen.

Auch Christus machte darin keine Ausnahme. Er hatte mit diesen Unvollkommenheiten bis zu seinem letzten Atemzuge zu kämpfen und unterlag mehr als einmal der menschlichen Schwäche im Kampfe gegen das Böse. Im Garten Gethsemane wurde dieser große Überwinder des Bösen doch als Mensch schwach und unvollkommen, als er betete, der Vater möge den Kelch des Leidens an ihm vorübergehen lassen; wenn er auch hinzufügte: ‚Doch nicht mein, sondern dein Wille geschehe!‘ Er wußte, daß es der Wille des Vaters war, daß er diese Leiden erdulden sollte. Hier spricht also der schwache, unvollkommene Mensch, der infolge seiner Menschennatur vor einem qualvollen Tod erbebt und sich gegen ihn sträubt. Der Vollkommene würde gesagt haben: ‚Vater, gib mir soviel Leiden als du willst und für gut findest. Ich nehme sie gern auf mich.‘ Er würde nicht gesagt haben: ‚Nimm sie weg!‘ – Und der schwache Mensch sprach am Kreuze aus ihm, als er sich bei Gott mit den Worten beklagte: ‚Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?‘ Diese Klage hätte ein in allen Stücken vollkommener Mensch nicht ausgesprochen. Aber ein so vollkommenen Menschen gibtes nicht. Da müßte der Mensch aufhören, Mensch zu sein, und der Leib aufhören, Materie zu sein.

Paulus hat diese Wahrheit in seinem Brief an die Hebräer in Worten wiedergegeben, die denjenigen sehr unangenehm klingen, die Christus als Gott bekennen und daher jede Möglichkeit der Sünde und des Abfalls von Gott bei Christus leugnen. Er schreibt:

Hebräer 5, 7 – 9: ‚Christus hat in den Tagen seines Erdenlebens Bitten und Flehen mit lautem Geschrei und Tränen vor den gebracht, der ihn vom ‚Tode‘ zu retten vermochte. Und er hat auch Erhörung gefunden und ist von der Angst befreit worden. Er hat, obwohl er Gottes Sohn war, an seinem Leiden Gehorsam gelernt. Nachdem er dann zur Vollendung gelangt war, ist er allen denen, die ihm gehorsam sind, der Urheber ewigen Heiles geworden.‘

In diesen Worten findest du alles, was ich dir vorhin gesagt habe, bis ins einzelne bestätigt. Ich wies dich bei der Erklärung des Heilsplanes Gottes auf die sehr wichtige Tatsache hin, daß auch der höchste geschaffene Geist sich durch eine Menschwerdung der Gefahr aussetze, vom Bösen besiegt und zum Abfall von Gott verleitet zu werden. Diese Gefahr bedrohte auch Christus. Er erkannte sie in ihrer ganzen Größe. Mehr als einmal war er nahe daran, den Angriffen Satans zu erliegen. Darauf weist Paulus in den vorgenannten Worten seines Briefes hin, wenn er sagt, daß Christus zu Gott unter Tränen geschrien habe, ihn doch von dem Tode zu erretten.

Daß nicht der leibliche Tod damit gemeint war, geht daraus hervor, daß Paulus ausdrücklich sagt, Gott habe das Gebet Christi erhört. Er hat ihn also vor dem Tode bewahrt, vor dem Christus so große Angst empfand. Hat ihn Gott vor dem irdischen Tode und der irdischen Todesangst bewahrt? Im Gegenteil. Den Kelch der irdischen Todesangst und des irdischen Todes hat Gott ihn bis zur Neige leeren lassen. Es muß also ein anderer Tod gewesen sein, von dem Christus auf sein Flehen errettet wurde. –

Du weißt, daß das Wort ‚Tod‘ an fast allen Stellen der Bibel und vor allem in den Briefen des Paulus den ‚geistigen Tod‚ oder den Abfall von Gott bezeichnet. Vor diesem Abfall zitterte Christus schon zu einer Zeit, wo er von einem Kreuzestod noch nichts wußte. So furchtbar hat ihm Satan zugesetzt. Eure Bibel weiß nichts von dem täglichen Ringen Christi mit den Höllenmächten, die alles aufboten, ihn mürbe zu machen und dadurch zum Abfall von Gott zu bringen. Daß er unter Tränen zu Gott aufschrie und ihn um Hilfe anflehte, wenn Satan mit seiner ganzen Horde an ihm war und er vor Angst zitterte, er möchte der Hölle auf die Dauer nicht wiederstehen können – daran möget ihr erkennen, daß die Möglichkeit eines Abfalles von Gott auch bei Christus gegeben war.

Denn wäre bei ihm keine Möglichkeit eines Abfalles vorhanden gewesen, dann brauchte er nicht vor dem Angriff der Hölle zu zittern und noch weniger unter gewaltigem Schrei und unter Tränen Gott um Rettung anzuflehen.

Und Satan, der ja genau wußte, wen er in Christus vor sich hatte, wäre nicht so dumm gewesen, seine ganzen Machtmittel gegen ihn ins Feld zu führen, wenn er keine Aussicht gehabt hätte, ihn zu besiegen. Darum richten sich seine Angriffe nie gegen Gott selbst, sondern nur gegen die GeschöpfeGottes. Und wenn Luzifer als zweithöchster der geschaffenen Geister von Gott abfiel, warum sollte nicht der erste dieser Geister ebenfalls abfallen können, vor allem jetzt, wo er als schwacher Mensch den Höllenmächten gegenüberstand. Satan weiß genau, was er tut, und er unternimmt nichts Aussichtsloses.

Auch die Wahrheit, daß Christus menschliche Fehler und Schwächen beging, hat Paulus in der angegebenen Stelle zum Ausdruck gebracht. Denn er sagt, Christus habe, wiewohl er Gottes Sohn war, doch aus dem, was er durchzumachen hatte, Gehorsam gelernt. Also auch Christus mußte als Mensch Gehorsam lernen. Auch er hat nicht immer den inneren und äußeren Anregungen zum Guten Folge geleistet. Aber die Strafe, die auch er als Mensch für den kleinsten aus Schwachheit begangenen Ungehorsam bekam, hat ihn nach und nach Gehorsam gelehrt, und so ist er zur Vollendung gekommen, und zwar durch den größten Akt des Gehorsams – seinen Tod am Kreuze.

Das ist ja das Große und Wunderbare an Christus, daß er, obschon er der Sohn Gottes war, doch als Mensch mit denselben Schwachheiten und Unvollkommenheiten zu kämpfen hatte, die auch die anderen Menschen haben, und daß er trotzdem gegen die Macht der Hölle standhielt. Er hat die schlimmsten Angriffe des Bösen an sich erfahren müssen als einer, der besiegt werden konnte und vor Angst, er möchte besiegt werden, zu Gott im Gebet schrie. Darum weiß er auch aus eigener Erfahrung, wie es euch schwachen Menschen zumute ist.

Hebräer 4, 15: ‚Wir haben ja nicht einen Hohenpriester, der nicht Mitgefühl mit unseren Schwachheiten haben könnte, sondern einen solchen, der in allen Stücken ebenso versucht worden ist – nur ohne die Sünde.‘

Mit ‚Sünde‘ ist hier nicht das menschliche Straucheln aus Schwachheit gemeint, von dem kein Mensch frei ist und von dem auch Christus nicht frei war, sondern unter ‚Sünde‘ ist die Verfehlung zu verstehen, die uns von Gott trennt. Es ist die Sünde, die den geistigen Tod gebiert infolge des Abfalles von Gott.

Christus gehörte nie zu den von Gott Abgefallenen und ließ sich auch nicht als Mensch von Gott trennen. ‚Die Sünde zum Tod‘, wie der Apostel Johannes sie nennt, beging er nicht. Sonst ist er den Menschen in allem gleich geworden, auch in der menschlichen Schwachheit und im menschlichen Straucheln. Denn die Schwachheit zeigt sich im Straucheln. Wer nie strauchelt, ist auch nie schwach.

Der Zeitpunkt, wo Johannes der Täufer als Bußprediger auftrat, sollte auch für Christus von entscheidender Wichtigkeit werden. Denn bis dahin wußte er noch nicht, daß er der verheißene Messias war. Als er jedoch Johannes aufsuchte und dieser ihn der Volksmenge als das Lamm Gottes vorstellte, das die Sünde der Welt hinwegnehmen solle, da erkannte er, wer er war und erhielt sofort auch von Gott selbst die Bestätigung: ‚Du bist mein geliebter Sohn; an dir habe ich mein Wohlgefallen.‘

Jetzt war der Augenblick gekommen, wo auch die Geisterwelt Gottes Christus über seine Lebensaufgabe aufklärte. Es wurde ihm gesagt, daß er der höchste der geschaffenen Geister, der erstgeborene Sohn Gottes sei. Er wurde belehrt, daß er die Wahrheiten Gottes zu verkünden habe, daß er gegenüber den Angriffen Satans standhaft bleiben müsse, daß Satan in seinem Kampfe gegen ihn bis zum Äußersten gehen und ihn in den Kreuzestod hineintreiben werde, wie es von den Propheten vorausgesagt worden.

Worin jedoch der endgültige Sieg über Satan bestand, erfuhr Christus erst, als sein Geist sich im Kreuzestod vom irdischen Leib getrennt hatte.

Die Hölle erkannte Christus als den Sohn und Gesandten Gottes, der die Menschheit durch seine Lehre zu Gott führen und für die Wahrheit zu sterben bereit sein solle.

Der wirkliche Zusammenhang zwischen dem Kreuzestod Christi und einem Sieg über die Hölle war auch Satan nicht bekannt. Hätte er die Wahrheit darüber gewußt, so würde er Christus weder versucht noch seinen Tod herbeigeführt haben.

So aber wollte er Christus, den er bloß als einen Künder der Wahrheit erkannte, möglichst bald unschädlich machen. Sofern es ihm nicht gelang, Christus zum Abfall von Gott zu bringen, hoffte er seiner Wirksamkeit als Wahrheitskünder dadurch ein Ende machen zu können, daß er ihm das schimpfliche Los eines Kreuzestodes bereitete. Satan rechnete damit, daß die Lehre eines Gehängten bei den Menschen schnell abgetan sei. Denn diese mußten erwarten, daß ein Gottessohn, als den sich Christus ausgab, soviel Macht von Gott erhalten werde, daß er einen schmählichen Tod von seiten seiner Feinde verhindern könne. War er dazu nicht imstande, dann war mit seinem Tode auch seine Lehre gerichtet. Das war die Berechnung, die Satan sich gemacht hatte.

Christus wußte jetzt also, wer er war und welche große Aufgabe er zu vollbringen hatte. Doch ehe er mit der Ausführung begann, hatte auch er die Belastungsprobe zu bestehen, wie alle bisherigen Werkzeuge Gottes sie hatten bestehen müssen. Er mußte zeigen, ob er seiner wichtigen und folgenschweren Aufgabe gewachsen war.

Darum führte ihn der Geist Gottes in die Wüste.

Hier hatte er einen furchtbaren Ansturm der Höllenmächte auszuhalten. Niemand stand ihm dabei helfend und stützend zur Seite. Kein Wort menschlichen Trostes von seiten einer Mutter oder der Geschwister oder eines Freundes erreichte ihn hier. Und doch sehnt sich der Mensch gerade in schweren Seelenkämpfen nach einem mitfühlenden, mittragenden und stützenden Menschenherzen. Das alles war ihm in der Wüste versagt. Wilde Tiere umheulten ihn, und die Geister der Hölle standen vor seinem hellsehenden Auge. Unaufhaltsam kamen und gingen sie. Er hörte ihre Lockungen, Versprechungen, Drohungen. Zu allem, wozu Menschen versucht werden können, wurde dieser Menschensohn bis zum äußersten versucht. Satan hat ja seine Spezialisten auf allen Gebieten des Bösen:

Es kamen die Geister der Verzagtheit und des Kleinmuts, die Geister des Zweifels, die ihm den Glauben an seine Gottessohnschaft und an seine gottgegebene Aufgabe rauben und ihn zur Verzweiflung an sich selbst bringen wollten.

Es kamen die Geister des Hasses und suchten ihm Erbitterung gegen einen Gott einzuflößen, der ihn hier in der Wüste einem solchen Jammer preisgab.

Es kamen die Geister der Lebensfreude, die ihm den Gegensatz zwischen dieser schaurigen Wüste und dem menschlichen Wohlleben in Freude und Lust in den verlockendsten Bildern vorführten.

Aber alle kamen in der Gestalt von Engeln des LICHTS und gaben sich als seine Freunde aus.

Diese Verführungsspezialisten hatten ihre Rollen gut verteilt. Die Geister des Zweifels waren diemächtigsten und erschienen immer wieder auf dem Plan. Wie konnte denn ein Gott seinen erstgeborenen Sohn in eine solche Wüste schicken, dem Hunger preisgeben und diesen Seelenqualen aussetzen? – War am Ende doch alles, was er von vermeintlichen guten Geistern gehört, war der Ausspruch des Täufers, war die Gottesstimme am Jordan nicht eine einzige große Täuschung oder eine Kundgebung des Bösen? – War die Gottessohnschaft infolgedessen nicht ein großer Wahn, dem er zum Opfer gefallen war? Um diesen Punkt drehte sich der Hauptangriff der Hölle.

Die Überzeugung von seiner Gottessohnschaft sollte in diesem Menschensohn vernichtet werden. War das erreicht, dann hatte Satan gewonnenes Spiel. Denn wer an seiner Aufgabe irre wird, wirft sie von selbst fort.

Vierzig Tage und vierzig Nächte dauerte das Kesseltreiben der Hölle. Und ihr Opfer war ihr schutz- und hilflos preisgegeben, zitternd an allen Gliedern vor seelischen Aufregungen und vor körperlichem Elend infolge Hungers und Schlaflosigkeit. Es fehlte hier ja jede Nahrung. Er fastete, aber nicht freiwillig, sondern weil nichts Eßbares vorhanden war. Nichts als Sand und Steine, soweit man schaute.

Aber alle Spezialisten der Hölle mühten sich vergeblich ab , diesen fiebernden Jesus von Nazareth zu Fall zu bringen, obschon er sich vor körperlicher Schwäche, Hunger und Durst nicht mehr aufrechthalten konnte. Immer wieder schrie er unter Tränen zu seinem Vater um Hilfe, damit er ihn vor dem Tode des Abfalls bewahren und ihm die Kraft geben möge, dem Ansturm des Bösen bis zum siegreichen Ende standzuhalten.

Da, am letzten Tage, als alle Höllenmächte mit ihren Verführungskünsten dem gequälten Opfer gegenüber versagt hatten, kam er selbst – er, der Fürst der Finsternis. In manchen Dingen ist er Spezialist. Vor allem ist er der Geist höllischer Wundertaten. Als solcher steht er vor dem vor Hunger zitternden Jesus und spricht:

‚Du meinst, du seiest ein Sohn Gottes? Wenn du das bist, dann brauchst du keinen Hunger zu leiden, sondern du kannst diese Steine zu Brot machen. Aber du kannst es nicht, du Irregeführter, und mußt hier wegen dieses Wahns des Hungertodes sterben. Wunder kannst du nicht wirken und hast noch keine gewirkt und wirst auch keine wirken. Und doch bildest du dir ein, du seiest ein Sohn Gottes. Sieh mich an, ich bin ein Sohn Gottes, aber von jenem Gott weggegangen, der in seiner Grausamkeit dich hier so elend werden läßt. Ich kann Wunder wirken. Diese Kraft kann mir jener Gott nicht nehmen. Ich kann aus diesen Steinen Brot machen. Ich will dir zu essen geben. Du wirst sehen, ich kann es. Sag dich los von dem, der dich hier verhungern läßt! Tritt zu mir, und die schönsten Speisen der Erde stehen dir zur Verfügung.‘

‚Weiche, Satan, ich mag dein Brot nicht und möchte auch keins, wenn ich es aus diesen Steinen bereiten könnte. Ich warte auf das Wunderwort, das aus dem Munde Gottes kommt. Das Wort wird kommen zur rechten Stunde und mir Speise verschaffen, und ich werde am Leben bleiben.‘

Aber so leicht läßt Satan sich nicht abweisen.

‚Gut!‘ spricht er, ‚wenn du kein Wunder in meinem Beisein wirken und von mir kein Brot haben willst, das ich dir bloß aus Mitleid angeboten habe, dann kannst du ja einen anderen Weg wählen, um dich zu überzeugen, ob du ein Sohn Gottes bist. Denn daß du kein Sohn Gottes bist, dafür möchte ich dir den Beweis erbringen. Von dieser Selbsttäuschung möchte ich dich befreien. Siehe, hier ist die Zinne des Tempels. Ich will dich dorthin bringen, damit du dich hinabstürzest. Denn den Gottessöhnen ist ja versprochen worden, daß sie in solchen Fällen von Engelshänden getragen werden. Also mache den Versuch! Daß ich dir dabei nicht helfen werde, weißt du. Denn ich will dir ja gerade beweisen, daß du nicht zu den Gottessöhnen gehörst. Und ich bin sicher, daß du bei diesem Sturz zerschmettert liegenbleiben wirst. Aber versuchen sollst du es. Auch Gott kann nicht verlangen, daß du blindlings an deine Gottessohnschaft glauben sollst. Auf eine Probe muß du doch wohl deine angebliche Gottessohnschaft stellen, wenn du nicht jedes vernünftige Denken preisgeben willst. Kommst du heil unten an, so will auch ich an dich glauben. Findest du aber den Tod dabei, dann kannst du froh sein, lieber sofort von dem ganzen Trug, den man dir vorgegaukelt, durch den Tod befreit zu werden, als daß du dein ganzes Leben einem solchen Irrwahn opferst, um zum Schluß enttäuscht und von den Menschen verflucht zugrunde zu gehen.‘

Alle Kraft zusammennehmend, gibt ihm das schon seit vielen Wochen gequälte Opfer die Antwort:

‚Meinen Gott versuche ich nicht. Nicht auf diese Art will ich mich als den Sohn Gottes erweisen. Meinem Vater überlasse ich es, wie er mich als seinen Sohn bezeugt. Er wird den Beweis erbringen, und du wirst den Beweis an dir selbst erfahren.‘

Vor dieser Sprache wich Luzifer, der zweite, aber gefallene Sohn Gottes, vor seinem ältesten, abergottestreuen Bruder für einige Augenblicke zurück. Mit der Kunst seiner Wunderkraft konnte er nichts ausrichten, weil sein Opfer von ihm kein Wunder annahm und auch nicht zur Vermessenheit bestimmt werden konnte, selbst ein Wunder wirken zu wollen.

Aber Satan gab seine Hoffnung noch nicht auf. Er hatte noch ein anderes Lockmittel, mit dem er bisher stets glänzende Erfolge erzielte: Die Welt war sein. Alles Materielle untersteht seiner Herrschaft. Er konnte die Reiche der Erde geben, wem er wollte. Ob er ein Reich dem Babylonier Nebukadnezar gab oder dem Römer Tiberius oder dem Nazarener Jesus – er hatte zu bestimmen. Alle, denen er sie bisher gegeben hatte, waren seine Vasallen gewesen und hatten getan, was er ihnen befahl… Und wie in einem Film zogen die irdischen Reiche in all ihrer verlockenden Pracht vor dem fieberglühenden Auge des Menschensohnes vorüber…

‚Siehe, das alles will ich dir geben. Willst du alles haben, es ist dein. Willst du nur das eine oder andere davon haben, wähle es dir aus; du sollst es besitzen. Aber mich mußt du als Oberherrn über dich anerkennen. In diesen Reichen, die du gesehen, bin ich der erste und will der erste bleiben. Aber du sollst der zweite sein.‘

‚Weiche, Satan! – Ich erkenne nur einen als meinen Oberherrn an – meinen Gott.‘

Satan hatte den Kampf verloren. Er glaubte sicher, ihn gewinnen zu können, als er sein Opfer in den verflossenen Tagen so oft zum Vater schreien hörte und seine Angst sah. Und da waren doch nur Luzifers Untergebene an der Arbeit. Jetzt war er selbst gekommen, um die, wie er glaubte, sturmreife Festung zu nehmen, in der sich der Hunger als starker Bundesgenosse eingestellt hatte. Doch er hatte sich getäuscht. Mit geistigen Waffen und menschlichen Lockungen war diesem Menschensohn nicht beizukommen. – Doch ein Kampfmittel blieb ihm noch, vor dem alle Menschen erbeben und willfährig werden. Es war das Kampfmittel irdischer Leibesqualen. Die schärfsten wollte er hervorholen. Menschliche Henkersknechte hatte er ja genug in seinem Dienst: Gelehrte und Ungelehrte, Könige und Landpfleger, geistliche und weltliche Machthaber. Es mußte gelingen. Die beste Gelegenheit zur Ausführung würde er schon finden. Darum sagt eure Bibel:

Lukas 4, 13: ‚Als der Teufel so mit allen Versuchungen zu Ende war, ließ er von ihm ab bis zu einer gelegenen Zeit.‘

Die furchtbaren Anstürme des Bösen auf Jesus in der Wüste hatte Paulus vor allem im Auge, als er schrieb, daß Christus unter lautem Schrei und unter Tränen den um Hilfe angefleht habe, der ihn vom Tode des Abfalls erretten konnte.

Du siehst, Gott verschenkt seine wertvollen Gaben nicht. Sie müssen unter harten Proben errungen werden. Auch Christus mußte sich als Mensch die Kraft bitter verdienen, die er für seine gewaltige Aufgabe nötig hatte. Ihm wurde nichts in den Schoß geworfen. Aber jedesmal, wenn er siegreich mit dem Bösen gerungen, kam die Gotteskraft als Lohn über ihn. Der Himmel tat sich auf und Gottes Geister umgaben ihn. So geschah es auch nach dem Kampfe in der Wüste.

Matthäus 4, 11: ‚Engel kamen und leisteten ihm Dienste.‘

Sie verschafften ihm auch das irdische Brot, das er vierzig Tage hatte entbehren müssen. Jetzt, wo die Steine durch die Geister Gottes in Brot verwandelt wurden, nahm er es mit Dank gegenüber Gott an. Er hatte es zurückweisen müssen, als es ihm unter Satans Einfluß gereicht werden sollte.


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