Johannes Greber – 7.3 Das Hellsehen am Sterbebett

Text Quelle : vom Medium Peter Bernath persönlich zum Mitveröffentlichung autorisiert

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Dritter Teil : 7.3

(Zeitschrift für Parapsychologie, Jahrgang 1927, S. 475 – 476).

Ein Mann aus San Francisco teilt mit, was er am Sterbebett seiner Frau fünf Stunden lang geschaut hat. Folgendes ist sein Bericht:

„War ich einer Sinnestäuschung unterworfen oder plötzlich hellsehend geworden in den letzten fünf Stunden, die unmittelbar dem Scheiden meiner Frau vorausgingen, das ist für mich heute eine Streitfrage, deren befriedigende Lösung mir wohl niemals zuteil wird.

Ehe ich zur Erzählung der kleinen Begebenheit schreite, möchte ich zu Nutzen und Frommen des Lesers unbedingt vorausschicken, daß für mich weder alkoholische Getränke noch Kokain oder Morphium in Betracht kommen. Auch bin ich keineswegs nervös oder phantastisch. Vielmehr gelte ich als kaltblütig, ruhig und besonnen und stehe alledem ungläubig gegenüber, was man mit Spiritismus bezeichnet.

Allen meinen Freunden ist bekannt, daß meine Frau am Freitag dem 23. Mai 1902, ein Viertel vor 12 Uhr nachts von hinnen schied. Um sie herum versammelt waren einige meiner vertrautesten Freunde wie auch der behandelnde Arzt mit zwei geprüften Krankenpflegerinnen. Die rechte Hand der Kranken in der meinigen haltend, saß ich an der Seite des Krankenbettes. So vergingen zwei Stunden, und noch keine Änderung war eingetreten. Der Diener lud zum Essen ein. Aber niemand war geneigt, dieser Aufforderung zu einer Stärkung nachzukommen. Gegen 6.30 Uhr forderte ich doch dringend die Anwesenden auf, sich zum Essen zu begeben, da man ja nicht wissen könne, wie lange sich die Nachtwache noch hinziehen könne. So verließen denn alle das Zimmer.

Eine viertel Stunde später sah ich unwillkürlich einmal nach der Türe und bemerkte, wie drei getrennte, aber deutliche Wolkenschichten in das Zimmer hineingeweht wurden. Jede Wolke schien eine Ausdehnung von etwa vier Fuß in der Länge zu haben, sechs bis acht Zoll in der Breite, und die unterste war zwei Fuß von dem Boden entfernt. Die anderen schienen in Zwischenräumen von etwa sechs Zoll sich zu bewegen.

Mein erster Gedanke war nun, daß einige Freunde vor dem Schlafzimmer ständen, Zigarren rauchend, und die Rauchwolken drängen ins Zimmer ein. In diesem Gedanken sprang ich auf, um ihnen meine Ungehaltenheit kundzugeben. Aber da stand niemand an der Türe, noch war jemand auf dem Gang oder in den Nebenzimmern zu sehen.

Erstaunen überkam mich, und ich sah nach den Wolken. Diese näherten sich leise dem Bette, bis sie dasselbe vollständig eingehüllt hatten. Als ich dann in den Nebel hineinstarrte, gewahrte ich zu Häupten meines im Sterben liegenden Weibes eine weibliche Gestalt, etwa drei Fuß groß, durchsichtig, dennoch wie ein lichter Schein von leuchtendem Gold, eine Frauengestalt, so erhaben von Anblick, daß mir die Worte fehlen, sie genauer zu beschreiben. Eingehüllt in ein griechisches Gewand mit langen, lose herabwallenden Ärmeln. Auf ihrem Haupt eine strahlende Krone. So stand die Gestalt in ihrem vollen Glanze und ihrer Schönheit unbewegt da, ihre Hände über meine Frau erhoben. Sie schien ihr gleichsam ein Willkommen zu bieten mit heiterer, stiller Miene, würdevoll Ruhe und Frieden ausstrahlend. Zwei andere Gestalten in Weiß knieten an der Seite meines Weibes und lehnten sich anscheinend an sie an. Andere Gestalten schwebten über dem Bett, mehr oder weniger deutlich.

Über meiner Frau, indessen durch ein Band mit ihr verbunden, schwebte eine unbekleidete, weiße Gestalt, anscheinend ihr Odkörper. Zeitweise verhielt sich die so verbundene Person vollständig ruhig. Dann aber schrumpfte sie in sich zusammen, bis sie nicht größer als 18 Zoll war. Der Odkörper war vollständig, Arme und Beine, alles vollständig. Während der Odkörper so an Gestalt abnahm, wandte er sich öfter hin und her, schlug mit Armen und Beinen um sich, vermutlich in der Absicht, sich freizumachen und zu entkommen. Er wand sich so lange hin und her, bis er entkräftet zu sein schien. Dann wurde er ruhig, nahm wieder an Größe zu, um das nämliche Spiel von neuem beginnen zu lassen.

Diese Vision, oder was es auch sein mochte, habe ich andauernd während der ganzen fünf Stunden gehabt, die dem Scheiden meiner Frau vorausgingen. Unterbrechungen, zum Beispiel, wenn ich mit meinen Freunden sprach, meine Augen schloß und den Kopf abwandte, vermochten das Blendwerk nicht im mindesten zu beeinflussen. Denn sobald ich meinen Blick wieder auf das Sterbebett richtete, war auch die Geistererscheinung zu sehen. Diese ganzen fünf Stunden hindurch hatte ich ein seltsames Gefühl der Bedrückung. Eine schwere Last lag auf meinem Kopf und meinen Gliedern. Meine Augen waren schwer und voll Schlaf. Und während dieser Zeit waren die Empfindungen so seltsam, die Erscheinungen so beständig und lebhaft, daß ich glaubte, den Verstand zu verlieren. Und mehr als einmal sagte ich zu dem behandelnden Arzt: „Herr Doktor, ich verliere meinen Verstand.

Endlich trat der verhängnisvolle Augenblick ein. Ein Keuchen, der Odkörper wand sich hin und her, mein Weib hörte auf zu atmen. Es hatte den Anschein, als sei sie nun tot. Einige Augenblicke später jedoch begann sie wieder zu atmen, zweimal – und dann war alles still.

Mit ihrem letzten Atemzug war das Verbindungsband plötzlich abgerissen und der Odkörper verschwunden. Die Wolken und die Geistergestalten verschwanden ebenfalls augenblicklich.

Und seltsam, das ganze schwere Gefühl, das auf mir gelastet hatte, war mit einem Male von mir gewichen. Ich war mir selbst wiedergegeben, kaltblütig, ruhig und besonnen, und von dem Augenblick des Todes an befähigt, alle Anordnungen inbetreff des irdischen Körpers und seiner Bestattung zur letzten Ruhe zu treffen.

Ich muß es nunmehr meinen Lesern überlassen, darüber zu urteilen, ob ich einer Sinnestäuschung unterworfen war infolge des Grams, des Herzeleides und der Ermattung, oder ob nicht doch ein Schimmer jener geistigen Welt mit ihrer Schönheit, Glückseligkeit, Ruhe und Frieden meinen sterblichen Augen vergönnt war.

Die hier geschilderten Erlebnisse am Sterbebett waren keine Sinnestäuschung, sondern Wirklichkeit. Das Schauen der geistigen Gestalten durch den Ehegatten der Sterbenden hing von zwei Vorbedingungen ab:

Zunächst mußte der Gatte die mediale Veranlagung zum Hellsehen haben, wenn diese auch noch unvollkommen bei ihm ausgebildet war.

Ferner mußte soviel Od im Zimmer vorhanden sein, daß die Geistwesen ihre Gestalten damit sichtbar machen konnten.

Als Odquelle kam vor allem die Sterbende selbst in Betracht. Im Sterben löst sich ja das Od vom Körper. Aber auch der Ehegatte der Sterbenden gab wegen seiner medialen Veranlagung Odkraft ab. Das Gefühl des Druckes, der Schläfrigkeit und Müdigkeit, das während jener Stunden auf ihm lastete, rührte von der Odabgabe her und schwand darum wieder, als nach dem Aufhören der Geistererscheinung das von ihm abgegebene Od wieder in seinen Körper zurückströmte.

Auch hier war das Od in der Form von Odwolken sichtbar, die das ganze Sterbebett einhüllten. Aus ihnen bildeten sich dann die Gestalten der Geistwesen. Daß er nicht alle über dem Bett schwebenden Geistwesen deutlich sehen konnte, kam daher, daß die vorhandene Odmenge nicht ausreichte, um sämtliche anwesenden Geister gleich deutlich in Erscheinung treten zu lassen.

Bei jedem Sterbenden sind Geister des Jenseits anwesend. Meistens sind es verstorbene Angehörige und Freunde. Außerdem jene Geister, die als Schützer und Führer bei seinen Lebzeiten um ihn waren.

Viele Sterbende nehmen diese Geister ebenfalls hellsehend wahr. Denn der Geist der Sterbenden ist in den letzten Stunden ja schon teilweise vom Körper gelöst und daher zu einem geistigen Schauen befähigt. Er erkennt die Gestalten der vor ihm Verstorbenen, die bei seinem Sterben anwesend sind, und nennt sie mit Namen.

Diese Geister haben nicht bloß die Aufgabe, den Sterbenden ins Jenseits abzuholen, sondern sie sind auch bei der Lösung des Geistes vom Körper des Sterbenden mittätig.

Überall, wo eine Anzahl Geister zu einem bestimmten Zweck erscheinen, haben sie einen Führer, der ihnen übergeordnet ist. In unserem Falle war der Führergeist jene herrliche Frauengestalt, die der Ehegatte über dem Bette seines sterbenden Weibes schweben sah. Sie leitete die Arbeit, welche die ihr unterstellten Geistwesen bei der Sterbenden zu verrichten hatten.

Was der Mann als weiße, nackte Gestalt über dem Körper seines sterbenden Weibes sich auf- und abbewegen sah, war der Odkörper der Sterbenden.

Das Hin- und Herwinden dieser Odgestalt, die in allem das Abbild der Sterbenden war, ist durch die Anstrengung bedingt, die der Geist der Sterbenden in der Hülle des Odkörpers machen mußte, um das Odband durchzureißen, das ihn noch mit dem materiellen Körper verband, als sich schon der übrige Odkörper gelöst hatte.

Auch der Ehegatte sah dieses Band deutlich.

Das Odband hat naturgemäß eine große Festigkeit und kann nicht leicht durchgerissen werden.


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