Johanne Greber – Pfarrer Vianey von Ars und die Geisterwelt (2)

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Seine Vorhersagen betrafen fast immer nur das Wohl des einzelnen und nicht das öffentliche Wohl. Manchen Bekehrten sagte er ihren nahen Tod voraus. In anderen Fällen benachrichtigte er dritte Personen von dem bevorstehenden Tode eines ihrer Angehörigen, damit sie sich bereithalten möchten. Auch sah er im Geiste ferne Ereignisse, welche die Personen angingen, mit denen er gerade sprach. Als er eines Tages einen Mann in der auf ihn wartenden Menge erblickte, sagte er zu ihm:

„Kehren Sie schnell nach Lyon zurück, Ihr Haus steht in Flammen!“

Und so war es. Ein anderes Mal schickte Vianey eine Bäuerin, die eben ihr Sündenbekenntnis abgelegt hatte, schleunigst heim, denn eine Schlange sei in ihr Haus gekrochen. Die Frau eilte in ihr Haus zurück und durchsuchte es nach allen Richtungen, fand aber nichts. Schließlich kam sie auf den Gedanken, auch ihren Strohsack zu schütteln, den sie zum Auslüften in die Sonne gelegt hatte. Sie sah aus demselben eine Schlange hervorkriechen.

Einem jungen Mädchen, das er in der Kirche stehen sah, sagte er, sie möge ohne Säumen heimkehren, denn sie werde dort dringend erwartet. Als sie nach Hause kam, fand sie ihre bisher vollständig gesunde Schwester tot daliegen.

Es kam eine Frau nach Ars zur Beichte, die sich von einem „Zauberer“ eine Flasche mit einem angeblichen Wundermittel hatte geben lassen. Als Vianey ihr Sündenbekenntnis gehört hatte, bemerkte er ihr:

„Sie sagen mir ja nichts von der Flasche, die Sie in einem Gebüsch vor Ars versteckt haben.“

Noch häufiger zeigte sich bei ihm das Schauen der innersten Gedanken und Gefühle anderer. Diese Gabe trat regelmäßig hervor, sobald es sich um besonders schwierige Bekehrungen handelte. Fast täglich ereignete es sich, daß er seinen Beichtstuhl verließ und gerade jene Personen, die am eiligsten oder am unglücklichsten waren, zu sich heranwinkte, damit sie zuerst an die Reihe kamen.

Es kamen auch solche, die seine Gabe auf die Probe stellen wollten. Mit großer Beschämung gingen sie von dannen. Einer bekannte ihm schlimme Sünden, die er sich erdichtet hatte. Vianey hörte ihn ruhig an und sagte dann:

„Sie haben in der Tat viel schwere Schuld auf der Seele; aber das Böse, das Sie in Wirklichkeit getan haben, besteht nicht in jenen Sünden, die Sie mir soeben erzählt haben, sondern es sind folgende Sünden…“

Und nun offenbarte Vianey zur großen Bestürzung des Betrügers alle Schandtaten seiner Vergangenheit.

Vianey heilte, beriet, tröstete und bekehrte aus der Ferne diejenigen, die nicht persönlich zu ihm kommen konnten und darum Vermittler oder auch Briefe schickten. Alle bisher geschilderten Einzelzüge im Bilde der bei Vianey wirkenden Kräfte der Geisterwelt finden sich in derselben Art und in demselben Umfang, und man kann sagen, bis in die kleinsten Linien genau bei Blumhardt. Und es ist schwer, festzustellen, bei wem von beiden die Zahl der Tausenden, die zu ihnen strömten und die wunderbaren Wirkungen jener Kräfte an sich erfuhren, größer war, ob bei Vianey oder bei Blumhardt.

Auch das ereignete sich bei beiden, was man eine wunderbare Brotvermehrung nennen könnte. Bei Blumhardt kam es vor, daß bei dem großen Andrang der Fremden, die von den Pfarrkindern Blumhardts gastlich aufgenommen und beherbergt wurden, sich Mangel an Nahrung einstellte. Aber ein besonderer Segen waltete bei diesen Speisungen. Eine Familie, die nicht genug hatte, 14 Personen zu sättigen, machte mit derselben Speise 42 Personen satt, und es blieb noch Speise übrig. – Von Vianey wird ein noch augenscheinlicheres Wunder berichtet, für das seine ganze Pfarrei Zeuge wurde. Er hatte ein Heim für arme Kinder. Eines Tages waren alle Nahrungsmittel ausgegangen. Auf dem Speicher lagen nur noch einige Handvoll Brotfrucht. Schon hatte er sich schweren Herzens entschlossen, die Kinder zu entlassen. Er betete zu Gott noch einmal um Hilfe. Als er nun auf den Speicher kam, war er hoch mit Korn angefüllt. Die ganze Pfarrei stieg auf den Speicher, um das Korn zu sehen. Dieses Ereignis machte in der ganzen Gegend ein großes Aufsehen. Auch der Bischof kam später und ließ sich zeigen, wie hoch der Speicher angefüllt war.

Wenn wir nun diese beiden Männer als Werkzeuge Gottes nebeneinanderstellen, dann muß uns etwas sehr Wichtiges dabei auffallen:

Wir haben hier zwei Männer, deren kirchliches Glaubensbekenntnis wesentlich verschieden ist.

Auf der einen Seite steht ein katholischer Pfarrer als Anhänger von Heiligen- und Reliquienverehrung, der die Krankenheilungen auf die heilige Philomena zurückführt, ein Mann, der die Messe feiert und die Beichte als notwendiges Sakrament der Sündenvergebung betrachtet, der an die Gegenwart Christi im Altarssakrament glaubt und an allen anderen Lehren seiner Kirche festhält – und auf der anderen Seite der evangelische Pfarrer Blumhardt als schroffer Gegner des Glaubensbekenntnisses eines Vianey. Er lehnt Heiligen- und Reliquienverehrung, Messe und Altarssakrament, katholische Beichte und katholische Sündenvergebung, Papsttum und alles, was damit zusammenhängt, als nicht von Gott gewollt, sondern aus menschlichen Irrtümern herrührend, mit aller Entschiedenheit ab. Und doch sind beide in der Hand Gottes ebenbürtige Werkzeuge der Befreiung der Menschheit von Sünde und Satan und ihrer Führung zum Vaterhaus Gottes. Beide erhalten die höchsten Gaben, die Christus seinen Gläubigen verheißen hat, trotz ihrer Gegensätzlichkeit im kirchlichen Glaubensbekenntnis.

In einem Punkte stimmen beide überein: In dem tiefen Gottesglauben und in dem darin verankerten unerschütterlichen Gottvertrauen sowie in der großen Liebe zu Gott und den Menschen.

Vor Gott ist also das sonstige kirchliche Glaubensbekenntnis eines Menschen von keiner Bedeutung.

Er betrachtet es bloß als ein äußeres Kleid, das man den Menschen umgehängt hat, das jedoch die geistige Persönlichkeit nicht beeinflußt, wenn in ihr Gottesglaube und Gottesliebe wirksam sind. Er läßt den Menschen dieses Kleid, das aus den Flicken menschlicher Irrtümer zusammengenäht ist, solange es die Aufgabe nicht verhindert, die er dem Menschen zugeteilt. Wenn man nun fragen wollte, weshalb die gute Geisterwelt jene Männer nicht über die Irrtümer in ihren religiösen Anschauungen aufgeklärt und ihnen die Wahrheit vermittelt habe, so ist die Antwort darauf nicht schwer.

Zunächst war eine solche Belehrung nicht notwendig, weil die konfessionellen Irrtümer der Arbeitnicht im Wege standen, zu der beide von Gott berufen waren. Sie sollten die Menschen ihrer näheren und ferneren Umgebung zur Einkehr in sich und zur Rückkehr zu Gott bewegen. Dem stand weder das katholische noch das evangelische Glaubensbekenntnis im Wege.

Vor allem aber konnte eine Aufklärung über religiöse Irrtümer deshalb von seiten der Geisterwelt nicht erfolgen, weil sie sowohl einem Blumhardt als auch einem Vianey die Erfüllung ihrer Aufgaben unmöglich gemacht hätte. So hätte der evangelische Pfarrer Blumhardt infolge neuer Wahrheitserkenntnisse auch eine Änderung in seiner Lehre vornehmen müssen. Damit würde er sichaußerhalb der evangelischen Kirche gestellt und dadurch sowohl sein Amt als auch seinen Wirkungskreis verloren haben.

Das gilt in noch höherem Maße von dem katholischen Pfarrer Vianey. Wäre seine Glaubenseinstellung auch nur in einem Punkte von der seiner Kirche abgewichen, so wäre er in ganz kurzer Zeit für immer erledigt.

Unter Katholiken konnte an der Aufgabe der Rettung von Seelen nur arbeiten, der in das Gewand des katholischen Bekenntnisses gekleidet war, wie Blumhardt nur als Mann des evangelischen Glaubens unter seinen Glaubensgenossen Aussicht auf Erfolg hatte.

Ohnedies wurde das Wirken beider schon über die Maßen von ihren Amtsbrüdern angefeindet, obwohl jeder seiner Kirche treu ergeben war. Welche Kämpfe würden erst gegen sie eingesetzt haben, wenn sie in dem einen oder anderen Punkte von der Lehre ihrer Kirche abgewichen wären? Besonders bei Vianey kannten die Angriffe seiner Amtsbrüder keine Grenzen. Wie schon vorher angedeutet, wurde er zehn Jahre hindurch von ihnen maßlos verfolgt, bekrittelt, geschmäht, verdächtigt, verleumdet und selbst mit äußerster Gewalt bedroht.

Als die katholische Geistlichkeit seiner näheren und ferneren Umgebung sah, wie ihre Pfarrkinder ebenfalls zu Vianey eilten und mehr auf dessen Urteil gaben als auf das der eigenen Geistlichen, kamen die Regungen des Neides und der Eifersucht. Sie nannten ihn den unwissenden Priester, der nur mit Mühe ein wenig Latein gelernt habe und beinahe aus dem Priesterseminar zurückgeschickt worden wäre. Vor allem die Begeisterung, mit der die Leute von dem Pfarrer von Ars sprachen, brachte den Haß der anderen Geistlichen zum Überlaufen.

Man verleumdete ihn in der schändlichsten Weise.

Die Pfarrer verboten ihren Pfarrkindern, nach Ars zur Beichte zu gehen, und drohten ihnen im Falle, daß sie doch hingingen, mit dem Ausschluß von den Sakramenten und der Verweigerung der Lossprechung, selbst in der Sterbestunde. Sonntag für Sonntag schmähten sie von der Kanzel herab gegen den Pfarrer von Ars. Vianey sagte später einmal:

„Man ließ das Evangelium auf der Kanzel in Ruhe und statt dessen predigte man gegen den armen Pfarrer von Ars.“

Während die einen über seine Unwissenheit spotteten, verdächtigten die anderen seinen Lebenswandel. Briefe ohne Unterschrift liefen in großer Zahl bei ihm ein, in denen man ihm die größten Gemeinheiten in den ekelhaftesten Ausdrücken vorwarf. Auch suchte die Geistlichkeit das Volk gegen ihn aufzuhetzen. Wenn er morgens seine Haustür öffnete, fand er daran Zettel geklebt, auf denen man ihn anklagte, die Nacht in den unsittlichsten Ausschweifungen verbracht zu haben.

Hier wie auch bei Blumhardt wiederholte sich dasselbe, was die jüdische Geistlichkeit gegen Christus ins Werk setzte.

„Was sollen wir tun? Seht, das ganze Volk läuft ihm nach, diesem Weintrinker und Gesellen der Sünder und der Dirnen.“

Das Wort von dem „geistlichen Neid“ und die Wahrheit, daß ein Geistlicher seinem Mitgeistlichen ein Teufel ist, bestätigte sich auch bei diesen beiden Geistlichen.

Wenn die Angriffe der Amtsbrüder gegen Blumhardt auch nicht das Maß der Gemeinheit erreichten, wie es bei Vianey der Fall war, so hat doch auch er sehr viel Leid und Verfolgung von ihnen zu erdulden gehabt.

Entbrannte bei diesen beiden Männern trotz ihrer kirchlichen Glaubenstreue ein solcher Kampf auf Leben und Tod, was würde da erst geschehen sein, wenn man ihnen ein Abweichen von der kirchlichen Lehre hätte nachweisen können?

Gott und seine Geisterwelt richten sich bei der Auswahl und Zubereitung ihrer Werkzeuge auch nach den Zeitverhältnissen und der religiösen Atmosphäre, die in den Kreisen herrscht, in denen sie wirken sollen. Alle menschlichen Ansichten und Irrtümer läßt die Geisterwelt Gottes unberührt, solange sie nicht ein ernstliches Hindernis für die Erreichung des von ihr gesteckten Zieles bilden. Von den irrigen Ansichten in Glaubenssachen wurde bei Vianey durch die sich kundgebenden guten Geister keine einzige hinweggeräumt, weil sie der Aufgabe, die er zu erfüllen hatte, nicht im Wege standen.

Nur als er in seiner falschen Beurteilung der körperlichen Bußübungen, die er als Gott besonders wohlgefällig betrachtete, seinen Körper mit solchen Bußübungen quälen wollte, griff die Geisterwelt mit einer Belehrung ein. Nun mußte sie es, da eine Schwächung seiner Körperkraft auch geringere Leistungen in seiner Wirksamkeit zur notwendigen Folge gehabt hätte. Durch eine gebieterische Stimme, die er hellhörend wahrnahm, wurde er an seine wahre Aufgabe erinnert. Vianey selbst sagt darüber:

„Ich weiß nicht, ob es wirklich eine Stimme war, die ich hörte, oder ob ich es geträumt habe; aber wie dem auch sein mag, ich erwachte davon. Diese Stimme sagte mir, es sei Gott wohlgefälliger, die Seele eines einzigen Sünders zu retten, als alle möglichen Opfer zu bringen. Damals hatte ich mir nämlich Bußübungen zu meiner eigenen Heiligung vorgenommen.“

Vianey, der katholische Pfarrer von Ars, wurde von seiner Kirche heiliggesprochen. Wenn Menschen einen Menschen überhaupt heiligsprechen könnten, dann müßte der evangelische Pfarrer Blumhardtebenfalls heiliggesprochen werden. Denn er stand in seiner Gesinnung, seiner Wirksamkeit und den staunenerregenden Gaben von oben seinem katholischen Amtsbruder nicht nach.

Das Lebensbild dieser beiden Männer zeigt, daß die guten und die bösen Geisterkräfte auch heutenoch in derselben Weise bei den Menschen wirksam sind wie zu allen früheren Zeiten und daß sie nach den gleichen Gesetzen sich vollziehen.


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