Johannes Greber – 10.16 Gehorsam gegen menschliche Obere als Vollkommenheitsideale

Text Quelle : vom Medium Peter Bernath persönlich zum Mitveröffentlichung autorisiert.

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vierter Teil : 10.16

Was von dem Gelübde der vollständigen Armut und der steten Keuschheit als Ehelosigkeit gilt, das gilt in gleichem Maße von dem Gelübde des vollkommenen Gehorsams gegen menschliche Obere.

Auch dies ist gegen Gottes Willen und bloß eine Erfindung menschlicher Herrschsucht.

Gott hat jedem Geist bei der Schöpfung als höchste Gabe die Willensfreiheit geschenkt. Diese Freiheit der persönlichen Entscheidung bei allem, was er tut oder unterläßt, beschränkt Gott bei niemand. Es ist auch nicht sein Wille, daß sie von menschlicher Seite beschränkt wird. Denn jeder Mensch ist für das, was er tut, in jedem Augenblick seines Lebens persönlich verantwortlich.

Die Verantwortung kann ihm niemand abnehmen. Er kann sich Gott gegenüber niemals darauf berufen, daß er seinen Willen und die persönliche Entscheidung einem anderen Willen untergeordnet habe.

Sobald daher ein Mensch zur Reife der Vernunft gelangt ist, darf er niemals seinen Willen in blindem Gehorsam dem Willen eines anderen Menschen unterstellen, weder einer weltlichen noch einer geistlichen Obrigkeit.

Blinden Gehorsam soll man bloß Gott gegenüber leisten.

Wenn es in der Bibel heißt: ‚Gehorsam ist besser als Opfer‘, so beziehen sich diese Worte nur auf den Gehorsam gegenüber Gott, aber niemals auf den Gehorsam gegenüber Menschen. Zwar berufen sich die menschlichen Oberen, besonders die geistlichen, so gern auf dieses Bibelwort, um blinden Gehorsam von ihren Untergebenen zu erlangen. Auch hat man die falsche Lehre aufgestellt, daß ein blinder Gehorsam gegenüber einem geistlichen Oberen den Gehorchenden von jeder persönlichen Verantwortung in den Dingen befreie, die er im Gehorsam vollführe. Nur eine Sünde dürfe er nicht im Gehorsam begehen.

Das ist ein großer Irrtum!

Denn der Mensch ist nicht bloß für das Böse, das er tut, persönlich verantwortlich, sondern ebensosehr für das, was er an Gutem unterläßt. Ja, die Unterlassung des Guten kann oft eine viel größere Sünde sein, als das Begehen einer sündhaften Tat.

Wenn ein geistlicher Oberer einem Untergebenen befiehlt, einen Diebstahl zu begehen, so darf nach eurer Lehre der Untergebene nicht gehorchen. Verbietet er ihm jedoch z. B. einem Mitmenschen, dem der Untergebene Hilfe bringen könnte, zu helfen, so müßte der Untergebene die Hilfe unterlassen. Und doch wäre diese Unterlassung in den Augen Gottes vielleicht eine viel größere Sünde als der Diebstahl. Der Untergebene könnte sich im letzteren Falle Gott gegenüber nicht darauf berufen, daß er wegen der Gehorsamsverpflichtung gegen seinen Oberen das Gute nicht hätte tun können, zu dem ihn das eigene Gewissen drängte. Er muß vielmehr unter allen Umständen seinem Gewissen Folge leisten. Das Gewissen eines anderen kann nie das eigene Gewissen ersetzen.

Jedem Menschen gibt Gott seine besondere Aufgabe. Diese muß er erfüllen und darf sich nicht durch menschliche Befehle und Satzungen daran hindern lassen. Daraus folgt, daß niemand seinen Willen dem Willen eines anderen durch ein Gelübde des Gehorsams unterstellen darf.

Das Gelübde des Gehorsams, das eure Priester und Ordensleute ablegen, ist daher wider Gottes Willen.

Auch den weltlichen Machthabern gegenüber kommt bloß ein Gehorsam in Frage, der sich auf diejenigen weltlichen Gesetze erstreckt, die mit dem Gesetze Gottes nicht in Widerspruch stehen.

Ihr beruft euch auf die Worte des Apostels Paulus am Anfang des 13. Kapitels des Römerbriefes, um die Pflicht des Gehorsams gegen menschliche Obrigkeiten zu begründen. Ihr habt aber den Sinn dieser Worte gar nicht verstanden und sie vollständig falsch in eure Sprache übersetzt. Denn Paulus spricht darin überhaupt nicht von den menschlichen Mächten, sondern von den geistigen, die Gott einem jeden zuteilt.

Jedem Menschen sind Geister Gottes zu seiner Leitung und Führung beigegeben, dem einen in größerer, dem anderen in geringerer Anzahl. Das hängt von der Größe der Aufgabe ab, die ein Mensch nach dem Willen Gottes zu erfüllen hat. Diese Geister Gottes haben nicht bloß den Auftrag, euch zu beschützen, innerlich zu ermahnen, zu warnen, zu belehren, zum Guten anzuspornen. Sie haben auch das Recht, euch zu bestrafen. Sie führen das Strafschwert Gottes. Denn die Strafen, die Gott verhängt, vollzieht er durch seine Geister. Das ist dir ja aus vielen Stellen der Bibel bekannt.

Nun möchte ich dir die Worte des Apostels Paulus in der richtigen Übersetzung mitteilen:

‚Jede Seele sei den Geistermächten untertan, unter deren Leitung sie steht. Denn es gibt keine gottgewollten Geistermächte außer denen, die von Gott dafür bestimmt sind. Wer sich also dieser Geistermacht widersetzt, stellt sich dem Willen Gottes entgegen. Und die sich widersetzen, ziehen sich dadurch ein Strafurteil zu. Denn diese Mächte sind nicht Gegenstand der Furcht für die, die das Gute tun, sondern bloß für die, welche das Böse vollführen.

Willst du also eine solche Macht nicht zu fürchten brauchen, so tue das Gute; dann wirst du von ihr Lob empfangen. Denn sie ist dir als eine Dienerin Gottes für das Gute zugeteilt. Wenn du aber das Böse tust, dann hast du Grund zur Furcht. Sie trägt das Strafschwert nicht umsonst. Denn sie ist auch eine Dienerin Gottes, die dem göttlichen Zorn Recht verschafft bei dem, der das Böse tut. Darum muß man ihr Gehorsam leisten, nicht bloß aus Furcht vor dem göttlichen Zorn, sondern der Stimme des Gewissens folgend.

Darum bringt auch die euch auferlegten geistigen Opfer! Denn jene Mächte sind Beauftragte Gottes, die zu diesem Zwecke beständig bei euch ausharren. Tuet allen gegenüber eure Schuldigkeit! Fordert der eine Opfer von euch, so bringet sie; fordert er die Ausführung eines Werkes, so führet es aus; flößt er euch Furcht vor etwas ein, so fürchtet euch davor; zeigt er euch etwas als wertvoll, so haltet es dafür! Bleibet keinem gegenüber in irgendeinem Punkte im Rückstande. Ihr tut in allem eure Schuldigkeit, wenn ihr einander liebet. Denn wer den anderen liebt, hat das ganze Gesetz erfüllt.‘

Wie konntet ihr nun diese Worte auf die weltlichen Herrscher beziehen? – Glaubt ihr denn im Ernst, daß jede menschliche Obrigkeit von Gott eingesetzt wird? – Waren etwa die zahllosen Könige und Fürsten, die bis jetzt lebten und in so vielen Fällen Werkzeuge des Bösen waren, von ‚Gottes Gnaden‘ oder nicht vielmehr von ‚Teufels Gnaden‘? Konnte man auf die, welche die größten Grausamkeiten, Ungerechtigkeiten und Unterdrückungen gegen das arme Volk begingen, die Worte aus der oben angeführten Stelle anwenden: ‚Sie sind Gottes Diener zu eurem Besten‘?

Ihr Menschen verschafft den weltlichen und geistlichen Machthabern ihre Stellung aufgrund von Menschensatzungen – nicht Gott. Ein Geist Gottes ist weder bei euren Fürstenkrönungen noch bei den Papst- und Bischofswahlen tätig.

Wenn ihr in eurer Übersetzung des vorliegenden Textes von ‚Steuern und Abgaben‘ sprecht und darum meint, es handle sich um irdische Herrscher, denen ihr diese entrichten sollt, so vergesset ihr, daß es auch geistige Abgaben gibt, die ihr Gott schuldet. Es sind dies die Früchte des Geistes. So wie die jährlichen Abgaben eines Baumes in seinen Früchten besteht, so sollt auch ihr als Abgaben für Gott die Früchte bringen, welche die euch beigegebenen Geister Gottes in unablässiger Tätigkeit in euch zur Reife bringen wollen.

Wie du siehst, sind die Vollkommenheitsideale der katholischen Kirche – freiwillige Armut in Ordensgemeinschaften, Keuschheit als Ehelosigkeit und blinder Gehorsam gegen geistliche Obere – in Wirklichkeit große Irrtümer, von denen das erste Christentum nichts wußte.


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