Johannes Greber – 7.2 Carlos Mirabelli, das brasilianische Medium (2)

Text Quelle : vom Medium Peter Bernath persönlich zum Mitveröffentlichung autorisiert.

***************************

Zweiter Teil : 7.2 (2)

Während dieses Vorganges lag Mirabelli wie im Todeskampf. Er war zusammengekauert, wachsfarben, mit vollkommener Muskelerschlaffung, schwacher und pfeifender Atmung. Der Puls war kaum zu fühlen.

Coronel Octavio Viana erhob sich, um sich ebenfalls von der Wirklichkeit der Erscheinung zu überzeugen. Auch er nahm die Kleine in die Arme, fühlte ihr den Puls, schaute ihr in die tiefen unergründlichen Augen, stellte Fragen an sie, die sie mit monotoner, trauriger Stimme, aber sinngemäß beantwortete. Viana bestätigte ebenfalls die Echtheit der Erscheinung. Dr. de Souza frischte Kindheitserinnerungen seiner Tochter auf und erhielt verständnisvolle Antworten.

Die Erscheinung wurde fotografiert.

Ein Bild davon ist dem Bericht der Untersuchungskommission beigegeben.

Nach der fotografischen Aufnahme begann das Kind im Raume zu schweben. Es erhob sich in die Luft und tummelte sich wie ein Fisch in seinem Element. Die Teilnehmer waren aufgestanden und gingen hinter der Erscheinung her, die mit der Hand leicht erreichbar war. Das Medium machte mit seinen Unterarmen die Bewegungen des schwebenden Kindes gleichzeitig mit. Nachdem das Mädchen noch einige Sekunden in der Luft schwebend gesehen worden war, verschwand es plötzlich. Es hatte sich 36 Minuten bei Tageslicht unter einwandfreien Bedingungen einer Versammlung gebildeter Männer gezeigt, welche bezeugen, daß sie ein ausgebildetes menschliches Wesen vor sich hatten. Dr. Ganymed de Souza verlor sein Kind zum zweitenmal – so tief hatte ihn das Erlebnis ergriffen.

Das Protokoll dieses Vorganges ist von zehn Doktoren der Wissenschaft, die dabei anwesend waren, zur Beglaubigung der Richtigkeit unterschrieben.

Nachdem das Medium die ungeheure Nervenanspannung des eben geschilderten Phänomens überwunden hatte, blieb es noch lange zitternd und erschöpft. Es war noch nicht wieder bei Kräften, da kam aus einem Schrank, in dem sich ein für Studienzwecke bestimmter Totenschädel befand, heftige Schläge. Der Totenschädel wurde von einer unsichtbaren Kraft wütend hin- und hergeschleudert, als ob er sein Gefängnis sprengen wollte. Ein Teilnehmer näherte sich dem Schrank, um ihn zu öffnen. Aber dessen Türen sprangen plötzlich von selbst auf. Der Totenschädel kam heraus und stieg unter greulichem Zähneklappern in die Luft.

Dr. Ganymed de Souza wunderte sich im Stillen, daß nicht auch das zum Kopf gehörige Skelett sich zeige. Wie zur Antwort bildeten sich sofort der Halswirbel, dann Brustkorb und Arme, die Wirbelsäule, Beckenknochen, die Beine und schließlich die Füße mit allen Knochen. Das Medium, an beiden Armen gehalten, stößt eine Menge schaumigen Speichel aus und schlägt auf seinem Stuhl wütend gegen sich selbst. Alle Schlagadern scheinen gestaut und pochen heftig. Mirabelli verbreitet einen starken Leichengeruch, der die Anwesenden in hohem Maße belästigt und das Zimmer derart verpestet, daß selbst frische Luft ihn nicht vertreibt. Das Skelett stellt sich auf die Beine und schickt sich an, mit unsicheren, großen Schritten durch das Zimmer zu gehen. Scheint es zu stürzen, so bringt es sich wieder ins Gleichgewicht.

Dr. Ganymed de Souza sucht sich durch Berührung von der Echtheit der Erscheinung zu überzeugen. Er beklopft die harten schmierigen Knochen, empfindet einen Nervenschlag und kehrt wieder an seinen Platz zurück.

Das Medium krümmt und windet sich auf seinem Stuhl und ist nur mit Mühe festzuhalten.

Das Skelett setzt seinen unheimlichen Rundgang fort.

Die Teilnehmer, angeregt durch das Beispiel des Dr. Ganymed de Souza, überwinden ihren Abscheu, erheben sich einer nach dem anderen und berühren diese düstere Verkörperung des Todes und des Nichts. Alle sind erschüttert. Der Leichengeruch bleibt bestehen. Das Skelett beginnt langsam, in ausgezählten Minuten, sich aufzulösen, anfangend bei den Füßen, bis schließlich nur mehr der Schädel in der Luft schwebt, der nun nicht mehr mit den Kinnladen klappert, sondern auf den Tisch fällt und dort liegenbleibt.

Alles das geschah um 9.45 Uhr vormittags bei strahlender Sonne unter einer fast polizeimäßigen Kontrolle in Gegenwart vieler gebildeter Persönlichkeiten und währte 22 ausgezählte Minuten.

Während die Anwesenden noch das vorhergehende Erlebnis besprachen, geriet das Medium wieder in einen Erregungszustand und behauptete, im Zimmer die Gestalt des Bischofs Dr. Jose de Camargo Barros zu sehen, der beim Schiffbruch der „Syrio“ ums Leben gekommen war. Die Unterhaltung wurde schnell abgebrochen und Mirabelli unter die vorschriftsmäßige Kontrolle genommen, welche die Herren Ataliba de Aranha und Odassio Sampaio übernahmen.

Süßer Rosenduft erfüllte das Zimmer.

Das Medium fiel in Trance.

Innerhalb des Zirkels wurde plötzlich ein feiner leichter Nebel gesehen, auf den sich alle Augen richteten. Der Nebel teilte und verdichtete sich, glänzte wie eine goldene Wolke, aus der sich langsam in ausgezählten Minuten eine Gestalt ablöste, die lächelnd, das bischöfliche Barett auf dem Haupte, angetan mit allen Insignien seiner Würde, sich vom Stuhl erhob und mit lauter, allen vernehmbarer Stimme seinen Namen: Dr. Jose de Camargo Barros nannte. Die Anwesenden vergewisserten sich, daß sie keiner Täuschung zum Opfer fielen.

Dr. Ganymed de Souza erhob sich, näherte sich furchtlos mit mehreren Schritten der Erscheinung und blieb ihr gegenüber stehen. Diese sagte nichts, lächelte dem Forscher zu, der nun ganz an sie herantrat, sie berührte, sie gründlich abklopfte, gegen die Zähne schlug, mit dem Finger den Gaumen prüfte, um das Vorhandensein von Speichel festzustellen. Er horchte Herz und Atmung ab, legte sein Ohr auf den Bauch des Bischofs, um sich von der Tätigkeit der Eingeweide zu überzeugen, untersuchte Nägel und Augäpfel, deren Blutäderchen er noch besonders prüfte, und kehrte auf seinen Platz zurück. Kein Zweifel – es war ein Mann, der hier weilte.

Die übrigen Beobachter folgten dem Beispiel des Dr. Ganymed de Souza, und allen zeigte sich der geheimnisvolle Gast gleich gefällig. Alle überzeugten sich, daß kein frivoles Spiel mit ihnen getrieben wurde, sondern daß tatsächlich ein menschliches Wesen mit menschlichen Organen vor ihnen stand. Der Bischof unterhielt sich mit den Anwesenden in reinem, gewähltem Portugiesisch. Zum Schluß sagte er:

„Nun geben Sie wohl acht, wie ich verschwinde!“

Er begab sich zu dem Stuhl des Mediums, welches in Tieftrance lag. Die Teilnehmer verfolgten gespannt jede einzelne Bewegung, damit ihnen nicht das Interessanteste des Phänomens, nämlich die Dematerialisation, entginge.

Bei dem immer noch in Trance befindlichen Medium angelangt, beugte sich der Bischof über Mirabelli, legt ihm die Hände auf und betrachtete ihn eine Weile schweigend. Die Anwesenden bildeten um die beiden einen Kreis. Der materialisierte Körper des Bischofs zuckte mehrmals heftig zusammen, begann zu schwinden und wurde immer kleiner. Das Medium, in kaltem Schweiß gebadet, röchelte laut. Die Erscheinung verkürzte sich auf etwa 30 Zentimeter und verschwand dann mit einer Plötzlichkeit, die nicht zu beschreiben ist. Wieder erfüllte starker, süßer Rosenduft den Raum. Mirabelli kam langsam zu sich. Die Nachuntersuchung ergab keine natürliche Erklärung des Vorgefallenen.

In Santos, dem Sitz der Akademie, wurde um 15.30 Uhr eine Nachmittagssitzung gehalten. Die Ergebnisse dieser Sitzung sind durch 60 Unterschriften bestätigt.

Nachdem zuerst die Gestalt einer mit den Anwesenden plaudernden Frau erschienen und wieder verschwunden war, hob sich nach wenigen Minuten eine Glocke in die Luft und läutete mit silberhellem Ton. Mirabelli erwachte aus der Trance und behauptete, neben dem Tisch eine ehrfurchtgebietende Gestalt zu sehen, die in weißes Linnen gekleidet und von einer glänzenden Aura umgeben sei. Die Glocke in der Luft läutete unaufhörlich. Verschiedene abseits sitzende Anwesende erhoben sich und näherten sich dem eigentlichen Zirkel, der durch die Untersuchungskommission gebildet wurde.

Nun vernahm man einen Lärm, als ob jemand mit den Absätzen hart auf den Boden auftrete. Da verkündeten die Herren Oberst Soares und Dr. Octavio Moreira Cavalcanti die Anwesenheit des verstorbenen Dr. Bezerra de Meneses, der als hervorragender Kliniker  in aller Andenken stand. Die Erscheinung wandte sich zu den Anwesenden, sprach mit ihnen über seine Person und bestätigte ihnen seine Gegenwart. Die Sprache und die bestimmte Art des Auftretens machte auf alle einen tiefen Eindruck. Das Megaphon trug seine Stimme durch den ganzen Raum. Es gelangen verschiedene fotografische Aufnahmen.

Die Herren Dr. Assumpcion und Dr. Mendonca näherten sich nun der verhüllten Gestalt und unterwarfen sie einer eingehenden Untersuchung, welche 15 Minuten dauerte und den Beweis lieferte, daß es sich um eine mit allen natürlichen Organen versehene, anatomisch genau gebaute menschliche Gestalt handle. Hierfür bürgen die anwesenden Gelehrten mit ihren Namen.

Nachdem die Geisterverkörperung den Anwesenden die Hand gedrückt hatte, kündigte sie ihr Verschwinden an. Sie schwebte wie ein Flugzeug durch die Luft. Zuerst verschwanden die Füße, dann die Beine, schließlich der Unterleib. Nur Brust, Arme und Kopf waren noch sichtbar.

Dr. Archimedes Mendonca, der wie die übrigen Anwesenden den Vorgang mit heftiger Spannung verfolgt hatte, näherte sich dem noch vorhandenen Rumpf der Materialisation und griff danach. Da fiel er wie leblos zu Boden, während das Gebilde völlig verschwand. Dr. Mendonca kam im Nebenzimmer wieder zu sich. Er behauptete, eine klebrige Masse zwischen den Fingern gefühlt zu haben, ehe ihm die Sinne schwanden.

Mirabelli befand sich nach dem Erwachen in einem Zustand starker Erschöpfung. Seine Fesseln erwiesen sich als unversehrt. Ebenso die Plomben der Türen und Fenster.

Der Bericht der Untersuchungskommission enthält 34 Abbildungen, von denen die ersten drei die Versuchsbedingungen die Verschnürung Mirabellis sowie die Überwachung durch die Kommission darstellen. Außerordentlich merkwürdig ist die Aufnahme, bei welcher Mirabelli in weißem Kostüm sich mitten in dem vierzehnköpfigen Untersuchungskomitee befindet. Seine Unterarme sind dematerialisiert. Links sieht man nichts und rechts nur einen leichten Schatten an deren Stelle.

Am interessantesten aber sind die 18 Bilder der Geisterverkörperungen. Bei den meisten befindet sich die materialisierte Gestalt mit dem Medium zusammen auf der Platte. In einzelnen Fällen wurde die Gestalt allein aufgenommen. In einigen Fällen sitzt die Verkörperung mit dem Medium und den Versuchsleitern um den Tisch, und man könnte glauben, es handle sich um eine lebendige Person, die zu dem Kreise der Kommission gehöre.

Die Schriftleitung der Zeitschrift für Parapsychologie sagt mit Recht.

„Man hat gegenüber einer so umfassenden Zeugenschaft und einer so gründlich geführten Untersuchung nicht das Recht, dieses neue, gewaltige Dokument für die Echtheit mediumistischer Erscheinungen einfach zu ignorieren.“

Wenn wir den Bericht über die bei dem Medium Mirabelli aufgetretenen Phänomene an Hand der in diesem Buche niedergelegten Odgesetze durchgehen, so wird uns alles verständlich werden. Alles geschieht nach unveränderlichen Gesetzen, mögen nun die Erscheinungen in Europa oder in Amerika oder in einem anderen Erdteil vor sich gehen, mögen sie aus der alten oder der neueren Zeit berichtet werden. Das Erscheinen der drei Männer bei Abraham, die Materialisation des Engels Raphael bei Tobias, die Verkörperung Christi nach seiner Auferstehung und unzählige andere Geisterverkörperungen kamen nach denselben Gesetzen zustande, wie die hier geschilderten Materialisationen bei Mirabelli. Der einzige Unterschied zwischen den erstgenannten Verkörperungen und denen bei Mirabelli ist der, daß uns bei der Verkörperung der hohen Geister Gottes die Odquelle für die Materialisation nicht angegeben ist, während sie bei den in Brasilien erfolgten Geisterverkörperungen Mirabelli als Medium die Hauptodquelle bildete und von den Sitzungsteilnehmern die meisten jedenfalls so medial veranlagt waren, daß sie als Hilfsmedien ohne Trancezustand Od abgaben.

An anderer Stelle ist auf die wichtige Tatsache hingewiesen worden, daß die hohen Geister, wenn sie im Auftrag Gottes den Menschen Kundgebungen vermitteln sollen, das erforderliche Od in unbegrenztem Maße zur Verfügung gestellt bekommen, so daß sie auf menschliche Medien nicht angewiesen sind. Aber die Gesetze ihrer Kundgebungen sind dieselben.

Das Sprechen und Schreiben Mirabellis in den vielen fremden Sprachen und über die mannigfachsten Themata geschieht durch die verschiedenen Geistwesen, die sich des Mirabelli bloß als Werkzeug bedienen. Die Apporte kommen dadurch zustande, daß die Geisterwelt mit Hilfe der Odkraft des Mediums die Kraftströme erzeugt, die zur Auflösung der Materie und zu ihrer Wiederverdichtung erforderlich sind. Die Materialisierung und Dematerialisierung der Geister erfolgen unter Anwendung derselben Kraftströme und unter Verwendung des Ods und der körperlichen Materie des Mediums.

In dem deutschen Auszug des brasilianischen Berichtes ist leider nicht erwähnt, wie groß der Gewichtsverlust des Mediums während der Zeit der Geisterverkörperungen gewesen ist.

Die betäubenden Schläge, welche diejenigen erlitten, die das in Auflösung begriffene Phantom berührten, kamen von den odischen Kraftströmen her, welche die Auflösung bewirkten. Dieselbe Einwirkung der Kraftströme würden diejenigen an sich erfahren haben, die den Versuch gemacht hätten, die sich bildenden Verkörperungen zu berühren. Bei vollendeter Materialisation sind die Ströme ausgeschaltet, und ihre Berührung hat keinerlei nachteilige Folgen.

Daß bei den materialisierten Geistwesen alle Organe des menschlichen Körpers vorhanden waren, ist darin begründet, daß der Geist diese Organe geistig besitzt. Er braucht sie mit Hilfe des menschlichen Ods bloß entsprechend zu verdichten, um sie in der materiellen Form eines menschlichen Leibes sichtbar zu machen. Derselbe Vorgang vollzog sich ja auch bei Mirabelli selbst, als er aus dem Sitzungsraum durch verschlossene Türen hindurch verschwand und nachher in einem anderen Zimmer lag. Das Verschwinden aus dem verschlossenen Raum war nur möglich, indem sein materieller Körper in einen Odkörper aufgelöst wurde. Dieser Odkörper wurde dann in dem anderen Zimmer wieder zum festen Körper materialisiert in derselben Weise und nach denselben Gesetzen, wie bei den materialisierten Geistern die Verkörperung vor sich ging.

Der liebliche Duft des Ods der hohen Geister im Gegensatz zu dem Leichengeruch der materialisierten tiefen Geister ist durch das, was in der Odlehre über den Odgeruch gesagt wurde, hinreichend klar.


Weiter bei: 7.3 Das Hellsehen an einem Sterbebett